FAKTOREY- Publikum

ist diese Denke für uns, dieses Publikum. Jetzt haben wir die Last des Zentrums: jeder kommt aus seiner Welt, aus seiner Werbewelt, Sozial-Welt, Geld-Welt, Not-Welt und wir sagen: hier sind alle gleich, weil alle tanzen. Der contract sociale ist der Tanz. Dem muß vorausgehen eine Gruppe, in der die Vertreter der genann-ten Welten vertreten sind, sonst gibts Mißverständnisse, man kommt nicht zum Tanzen. An die Stelle der Arbeiterschaft und des Kommunismus, an die Stelle der bergeversetzenden “Gleichheit aller Menschen”, des dialektischen Materialismus, setzen wir die Geburtshöhle des Tanzes und des nächtlichen Öffnens der Sinne, um in dem Tag, der in die Nacht fällt , das Licht zu sehen und eben zu fischen.
Es gab Bauhausfeste, und wir können in den Filmen der XXer Jahre die Tanzwut sehen, mit der man damals die Nacht zum Tage machte. Nach dem Tanz kam das Marschieren ? nein das lief immer parallel: deutschen Soldaten in Weißrussland und in den Straßen Berlins.
Die Geistesgegenwart des Körpers als Erfahrung. Töter vernichten diese Erfahrung im Töten: Danach hängen sie in Träumen, Schuldgefühlen, abgestrittenen Schuldgefühlen: sie haben den Toten, nicht ihre Geistesgegenwart.
Unsere Väter waren stumm. Sie haben uns mit großen traurigen Augen nachgeschaut, wenn wir tanzen gingen, ins Leben. Das hatten sie hinter sich.

Ihre jungen Seelen in ihren jungen Körpern waren gestorben im verlogenen Kampf für das Vaterland, das sie für ihre Zukunft hielten, eine Zukunft, die nichts sosehr brauchte als ihre Seelen.

Wir, Publikum, wir, unsere Öffentlichkeit jetzt, in der Gegenwart ab 2oo2 suchen uns, den Abfall der Geschichte in uns und das, was alle Zeiten immer “das Neue” nannten, avant, fauves, grell. Der Aufbruch ist eine Größe in sich, so zeigt er sich.
Wir, Publikum, mit dieser schrecklich reichen Erfahrung, jetzt noch der des Untergangs des Sozialismus, der riesigen Hoffnung der Menschheit - welcher europäische Intellektuelle war nicht irgendwann in den letzten hundert Jahren ein Kommunist, ein Sozialist, ein Neuerer der humanen Menschheit ? - wir sitzen auf den Trümmerbergen der besten Arbeiten, unser Weg ist gepflastert mit den Leichen von Millionen Menschen, die für den Fortschritt, für ihren, für unseren starben. Sie sind unser Publikum, vergeßt das nicht. Sie wollten Liebe und Leben und Gerechtigkeit. Sind sie mit ihrem Sterben, mit ihrem Glauben falsche Wege gegangen, glaubt ihr das, Publikum?
Wir fletzen unseren Arsch in seiner neuen schönen Hose ins Sofa in der Disco-Ecke. Und? ist das so flach?
Öffnen uns für uns selbst. Raus aus den Schuldzuweisungen, raus aus den einfachen Mustern, in die man sich quälen ließ und die man als willkommen nahm, andere zu quälen.
Der Blick in die gequälte Menschheit macht ja nicht lustig. Man kann aber lustig sein, man will es auch - und man will nicht verachtet werden, weil man die versammelte Scheiße der Welt nicht ständig im Munde führt, um mal lustig zu sein.
Wo ist das Lachen der Welt geblieben? Es wird benutzt, umabzulenken: daran könnte es sterben.

Gehört das Lachen zum Tanzen? Manchmal schon.

Ich lese Wole Soyinka. Er hat jetzt “Die Last des Erinnerns” geschrieben, ein Buch “was Europa Afrika schuldet” über die Geschichte der Sklaverei und wie man diese der Menschheit geschlagenen Wunden begreifen und vielleicht heilen kann: um einen Frieden in der Welt zu stiften wie es ihn noch nie gab.

Und wo sind die Menschen, deren Menschenliebe so wachsen kann, daß sie das schaffen ohne die Freude an ihrem eigenen Leben zu verlieren. Eines geht ins andere. “Wir sind noch nicht geboren” sagte Antonin Artaud immer wieder in den letzten Stunden seines Lebens. Und Wole Soyinka sagt, “das Zeitalter der Dunkelheit hat die Welt nie wirklich verlassen.”

Das Publikum, das wir sind, weiß das. Und wenn es uns gelingt, die Zustände in unserer Geburtshöhle zu Erfahrungen zu machen, und wenn wir in Europa und Afrika Freunde gewinnen, die mit uns sind an diesem “Ort des Neuen”, dann brauchen wir ihn nicht mehr so zu nennen.