FAKTOREY - Autorenschaft

Die in der Disco gespielte Musik - und wie sie aufgelegt wird < ein DJ sagte mir dieser Tage, wenn er die Atmosphäre, die Stimmung des Publikums spüre und aufnehme und dann Platten auflege, und in bestimmten Passagen dieser Platte reinfahre, dann fühle er sich oft wie ein Komponist > das ist der erste Akt der Autorenschaft und gewiß einer der wichtigsten.

Was ist vorausgegangen: eine lange, intensive, gelebte, publizierte, geliebte, abgelehnte, oft kommentierte Geschichte der sog. U-Musik, die irgendwann den Jazz ablöste. Kommerzielle Musik wie viele sagen, weil sie oft “ankommt” und mit ihr sehr viel Geld umgesetzt und auch verdient wird.
Es hat sich ein Wirtschaftszweig weltweit entwickelt, den es vor hundert Jahren nicht gab. Musik in dem heute gehörten Umfang gab es nie. Man sang Volkslieder und politische Lieder und militärische. Die gebildeten Klassen gingen inKonzerte klassischer Musik. “Orpheus fürs alle” ist eine Konsequenz des Radios, dann des Films, dann des Fernsehens.
Unbestreitbar, daß viele der besten musikalischen Gedanken, wichtigste Werke in dieses Genre flossen. Und wenn man an die Kraft der Kunst glaubt, dann hat das auch etwas bewirkt und tut das weiter.
Professor Honisch, Direktor der Neuen Natinalgalerie begründete die Tatsache, daß viele jüngere Menschen aller Schichten in seine Ausstellungen kommen mit dem “Walk man”. Er sagte: ‘dort lernen sie aufmerksam zu
werden für ästhetische Welten. Also kommen sie her, um sie auch in Bildern zu suchen. Früher standen an dieser Stelle die Bibel oder andere ethische oder wissenschaftliche Systeme, in denen junge Menschen ihr Leben erfahren wollten, dessen Sinn erkennen.’
Seltsam? es geht dem Publikum um Erfahrung. Sie wollen nicht, daß man ihnen etwas weis macht, dafür haben sie die Schule und ihr Verhältnis zu ihr: hier in der Disco, im Lichte ihrer Musik, wollen sie diese Musik und sich in ihr erfahren. das ist etwas sehr ernstes und sehr schönes. Und oft kommen sie mit erheblicher Vorbildung musikalischer Art und genauer Erwartung: auf Musik, auf ihren DJ. Bildung außerhalb der Schule ist personenorientiert: alle Bildung von Künstlern läuft nur über persönliche Prägungen. Die Materie ist zu dicht an der Seele als daß man sie Büchern und wissenschaftlicher Distanz entnähme.

Die Autorenschaft in der Musik: Komponisten, Gruppen <welchen Umfang hat die Auseinandersetzung um die “Gruppe”, was ist das für eine wichtige soziale Erfindung! was bringt sie zustande an Menschenkenntnis! (an Stelle der Orchester) >, DJ’s ist von dieser Geschichte geprägt, wie werden sie verfolgen, ihr nah werden und bleiben.
Und wir werden ihr live-Elemente zugeben, versuchsweise und im Einverständnis mit den DJ’s. Wenn ein DJ eine Stunde auflegt oder drei, dann folgt einer einem Konzept. Das “bringt” die Nacht, und es geht nur darum, es zu unterstützen, nicht es in Frage zu stellen oder gar zu zerstören. Wir wollen mit Trommeln arbeiten, die aus verschiedenen muskalischen Traditionen der Erde kommen, wollen den Raum benennen mit ihnen, frei räumen von falschen Tagesbildern. Wenn das nicht ankommt, fällt es weg.

Die Autorenschaft der Bilder, Filme, Videos. Wenn wir mit den Bildern soweit in die Tiefe gehen wie mit der Musik: in die Tiefe der Musikgeschichte, in die Tiefe der Bedeutungen, in die Stärke der Kommunikation, die sie hervorruft, in die Perfektion der Technik, mit der sie aufgenommen, unglaublich differenziert und dann so wiedergegeben wird, daß das Ohr oft weiß: so etwas brilliantes und Starkes wie diesen Ton gibt es nur hier, nur in dieser Musik von diesen Lautsprechern, also wenn man mit Bildern ebenso verfahren will, dann wird die Autorenschaft bei kunstgeschichlichen und anthropologischen Exkursen beginnen oder sie wird die Bilder der unmittelbaren Umwelt einpfeifen in die Beams und die Köpfe. Also wird sie beides tun, und imDritten beides vereinen.

Weil der Tanz im Mittelpunkt steht, und sein Strom die Realität ist, auf und in der alles schwimmt und fließt, kann das Bild selten jene Unmittelbarkeit haben, die es, umflort von seiner Aura, Spur des Jenseits, im Bild der Geliebten hat.
Es sei, als Bild der Geliebten, im Tanz geboren, in der Musik gewaschen und jetzt imBild immer dabei.
Der Tanz darf im Bild niemals aufgehoben sein: nicht formal und nicht dialektisch.
Er ist wie die Musik sein Teil, besser Glied.
Filmgeschichte taugt nicht, weil sie Geschichten-Geschichte ist, Panoptikum der Figuren der Geschichte(n). Sie zieht das Interesse auf inszenierte Bilder von Figuren. Das kann mit Tanz nichts zu tun haben.
Film-Dokumente aus der Natur, auch der menschlichen, aus Städten, Landstrichen, von Eisenbahnen und anderer Technik, von Gesichtern, die einfach da sind, vonVulkanausbrüchen, vom Toben des Meeres, auch von der Hummel, die jetzt diesen Honig aus der Blume haben will, Akte, nackte Menschen, die nicht für irgendwelche Waren und seien sie es selbst, Werbung machen, sondern sind wie sie sind: mit solchen Dokumenten kann man Bilder machen, Videos, Filme
schneiden, die zu Musik dem Tanz etwas bringen, uns umgeben wie eine bewegliche Haut, fließend, rhythmisch, steigend, fallend.
Bilder aus der Anthropologie, aus Eliades klugen Büchern, von Freud, von Jung, von Adler aufgerufen, in “Die Tränen des Eros” von Bataille abgebildet, in den vielen meist unbekannten Büchern der heutigen Schriftsteller in Asien, Afrika, in Japan, Indien und Lateinamerika direkt oder indirekt im Kontext mit alten Religionen atemberaubend und zukunftsträchtiger als Vieles, was uns nahe scheint, SchamanenRiten schon weggestorben: das ist eine Bildfülle, die zu
heben wäre, langsam, vorbei an den christlichen Traditionen, ohne sie.
Selbstredend hat die Kunstgeschichte von den indischen bis zu aztekischen Tempeln Bilderfülle, selbstredend finden wir in unserer christlichen Bildgeschichte und im alten Griechenland Motive, auch und gerade TanzMotive, aus denen wir Jahre von Bildern graben können in unsere Lichtfisch-Nächte.

Die Grenze ist immer der Tanz in seiner Unmittelbarkeit.
Sonst haben wir einszweidrei eine Volkstanzgruppe und eine Menge Redner, die es immer schon wußten. Wir wissen es nicht. Das muß gesagt sein. Wir wissen, was Scheiße ist, aber nicht, was wir machen sollen. Dies ist ein Versuch. Auch der Versuch einer neuen Autorenschaft außerhalb der bisherigen Clubs und Vereine. Vielleicht nicht ohne sie, denn Viele in ihnen werden so vorgehen wie wir das vorsehen.

Die Autorenschaft der Bilder,Filme,Videos wird bei Benjamin und Theweleit, bei Roland Barthes und Dietmar Kamper ihre Lupen finden. Von Machiavell zu Marx zu Popper zu Keynes. Und die Originale. Heliogabal, Stalin, Hitler. Euripides nicht vergessen und nicht das I Ging. Komplexe destillieren: das Einfache rauskriegen aus diesem Soud, das Tanzbare, das was einen nicht mehr fertig macht, mit dem man fertig wird. nie mehr. Es bedarf der Betonung, daß solche Komplexe langer Arbeit bedürfen und auch eines kategorialen Umfelds, das ich bei Koestler sehe.

Ein zu bearbeitendes “Bildfeld” findet man in den Schriften zum Gesamtkunstwerk und in der BauhausLiteratur. Die Aufarbeitung der Farb- und Formwelt bringt “Tanz-Bilder” hervor, wie man sie sich schöner nicht denken kann. Auf die Klaviaturen indes, die blau dur zurechnen etc. werden wir verzichten.
An dieser Stelle beginnt ein unentdecktes Arbeitsfeld: die Schnittstelle analog/digital. Der Computer ist in seinen meisten Kategorien ein Imitator.
Er versucht das auch in der Malerei. Das kann man vergessen. Höchst innovativ oder zumindest hoch interessant ist er in der Bildbearbeitung. Das hat bei den ersten Versuchen dazu geführt, daß wir abstrakte Bilder aufnahmen und aneinander morphten. Was dabei an Welt entsteht, ist ungemein interessant und mit Musik zusammen möglich. Daß man in dieser “Welt” dann zoomen kann, die tempi und vielleicht bald auch die Richtungen wechseln, macht aus einem statischen Bild ein rund-um-Geschehen. Ein Feld für unerschöpfliche Kreativität.

Der tanzende Mensch in unserer Geburtshöhle “lebt” zwischen Bildern und Schwärze, aber er kann auch “im Licht” leben, d.h. entweder: der Raum wird wie ein Theater ausgeleuchtet oder er wird mit Licht rhythmisiert oder die Tanzenden selbst werden in Licht getaucht, gebadet, erstehen und vergehen im Licht. Ein gut ausgeleuchteter Mensch ist wesentlich “schöner”: er scheint an Größe zu gewinnen, an Detailgenauigkeit ohnedies, was heißt, man sieht ihn
besser, er hat deutlichere Charakterzüge, die Haut leuchtet. Man wird also dafür sorgen, daß auch dieses Geschehen Gegenstand der Reflexion ist, und sich dem jeweiligen Gesamtgeschehen der Nacht sinnvoll einordnet.
Auch hier ist der Zustand, nicht der Verlauf das ästhetische Organisationsprinzip, sosehr detaillierte Zustände miteinander, ineinander arbeiten werden: das Prinzip kommt eher aus der Komposition als aus dem Roman, eher aus der Lyrik als aus der Dramatik, eher aus dem Bild als aus dem Film, eher aus der Natur, den Vögeln, den Fischen, dem Himmel um uns als aus dem Blick aus dem Fenster.

Die Autorenschaft der Lyrik, der Politik und der Sounds:
Wie man Lyrik einfügt ins Tanzen, das erproben wir. Ginsberg und Corso, us-amerikanische Lyriker, rappten in den späten 6oJahren ihre Lyrik:
sie sprachen dicht , heiß und rhythmisch wie Jazz-Solisten. Zum Tanzen braucht man vielleicht nichts als diese so gesprochenen Texte.
Politik wird immer dann rhythmisch, wenn sie draußen ist auf der Straße.
Luigi Nono hatte die größte Sammlung solcher Töne. Unser hohohotschiminh zur VietnamZeit wird noch vielen in den Ohren klingen. Politik sollte als purer Vortrag in ihrer klaren analytischen und aggressiven Sprache hörbar sein und als jenes Gutturale, zu dem Menschen sich zusammenfinden, wenn sie nicht weiter wissen. Es gibt gemeinsame Schreie und dieses Schluchzen und gebetsartige Rufen bei Beerdigungen politischer Kämpfer oder Opfer, die hinein-gehören ins Tanzen. proben.
Die “Sounds” sind eine “Erfindung” des Living Theater. Alle Spieler artikulieren während des Spiels, während stummer Handlung, während deutlicher Dialoge

ihre psychischen Zustände zum Gegenwärtigen der Szene in diesen Sounds. Das ist eine höchst interessante musikalische Improvisation, die wir versuchen sollten, ins Tanzen zu bringen. Wie man diese Töne fischt, weil man sie bei den
Lautstärken der Technik nicht hört, muß man probieren. Ob man sie dann dazu spielt oder einfach nur aufnimmt, damit man sie später hören kann, wird man entscheiden.

Das Eine sind die Bilder und die Töne, das andere die Präsentation. Wenn etwas richtig ist, ist es beides zusammen. Aber man muß nicht immer nur das Genie haben wollen. Oft ist schon prima. Diese Präsentation des Tanzes ist

Das Ganze: das war früher z.B. zu den Zeiten des Ungarnaufstandes als die Discotheken oder wie das dort hieß, die Artikulation des Widerstands waren, nicht der Widerstand selbst, sondern seine Lautstärke, sein Außersichsein, die Haltung des nicht-mehr-still-Haltens - und das war in Berkeley nicht anders im Camp - dieses Ganze der Halle braucht eine Autorenschaft eigener Art.

Diese Faktorey braucht zunächst Kompetenz: atmosphärisch, ästhetisch, politisch, wissenschaftlich und international. Sie muß gesucht, erarbeitet und stets neu formuliert werden. Starre Haltungen und Fahnen in den Wind hängen sind gleich falsch. Die von der Öffentlichkeit vergebenen Marken, Symbole und Kennzeichen verhindern oft das, was man dringend machen will, weil man denkt, man vertreibt die Leute, weil sie Konsequenz mit aufgeklebter Identität verwechseln. Die Leute sind klüger.
Die Faktorey ist ein Arbeitsprozeß, ein EntwicklungsTeil. Die einzelnen Nächte und anderen Ereignisse können dennoch, sollen selbstverständlich sehr gekonnt, sehr klar, sehr stark sein. Entwicklung ist keine Ausrede für schlechte Arbeit.
Die einzelnen Ereignisse können durchaus einzelne Situationen behandeln: die Pleite der Stadt Berlin, Rote Rhythmen. Das eine wird eine Information sein mit web-site, mit Diskussion, Vortrag und Interviews, aufgemacht als Party, als Ausstellung, als Großdiskussion mit viel Publikum, das andere eine Nacht.

Entscheidend füs Ganze wird sein, ob man die Kraft der großen Definition gewinnt, als wolle man die Welt dazu zwingen, so zu sein, wie man sie haben will - damit man nicht in ein paar Jahren, wenn die jetzt Regierenden und Wirtschaftenden tot sind, einen Schrott- und Scheißhaufen übernehmen muß.
Faktorey ist kein Theater und keine Uni.

Um in einer anderen Kategorie zu sprechen: vielleicht wird sie ein break, d.h. kann den rhythmus verzögern, beschleunigen, verdoppeln, eben ändern.
“Einstürzende Neubauten” ist eine hervorragende Bemerkung zum neuen Markt, zu vielem, was man der Gesellschaft, ihrer Zahlungsfähigkeit und ihrem Urteilsvermögen zumutete, ist in seiner Intensität ein Stück formulierte Apokalypse: das sollten wir sehen, und an der Reaktion auf Blixa Bargelds Musik begreifen, in welchem inneren Zustand sich die Disco-Generation befindet.


Man sollte, wenn man zu uns kommt, gewärtig sein, über apokalyptische Neubauten hinweg klettern zu müssen, um, ja um diese “Sache” probeweis anders zu treiben. Mit denen Architekten dieser “Neubauten” wird man nicht mehr ins Geschäft kommen wollen. Man wird sogar die Lust verspüren, sie nicht mehr wahr-zu-nehmen und dies nicht nur deshalb, weil man weiß, sie sind falsch. Es sei, man braucht selber das Fluchen und Schimpfen, um ein für allemal Klarheit zu haben und zu schreien.

Den Schrei und die Ekstase habe ich ausgeklammert: der Schrei ist ein Moment des Tragischen, ist eine Handlung. Mit der Ekstase beginnt ein Motor der unbekannten Seele anzuspringen. Obwohl Scrjabin sie mit dem Geschlechtsakt identifiziert und für die Geburt des Neuen hält - mir ist sie und das in vielen Gesichtern auf sie hinlaufende psychische Geschehen nicht geheuer, weil es jegliche Kommunikation ausschaltet und autonom-autoritär-solipsistisch eine unglaublich Herrschaft fordernde Isolation abstrahlt. Warum also? Und die Ekstase zu zweit, der “goldene Akt” ? Arthur Miller schrieb “wir berührten jedesmal den Himmel, wenn wir uns liebten”: was gibt es mehr? Aber wie soll dies zu einem Erlebnis der Gleichzeitigkeit für viele werden? Ich habe dreihundert Leute unter LSD gesehen: eine Gespensterversammlung von Einsamen, jeder in seinem Traum.